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Beschreibung
Die Springladen-Orgel in Langwarden
Langwarden liegt an der Nordspitze des Landes Butjadingen links von der Wesermündung. Der Ort hatte vor 1000 Jahren eine große Bedeutung als Handelsplatz an der Nordsee. Der Grundriss der eindrucksvollen romanischen Laurentius-Kirche war ursprünglich kreuzförmig und ist im 19. Jahrhundert auf die heutige Größe reduziert worden. 1902 wurde der 47 Meter hohe Turm errichtet, der auch als Seezeichen diente. Die einheitliche Ausstattung aus der Mitte des 17. Jahrhunderts umfasst einen großen Schnitzaltar aus der Münstermann-Schule, Kanzel, Taufstein und Seitenemporen mit 78 Gemälden biblischer Darstellungen. Im Westen befindet sich die Orgel mit dem filigran wirkenden Hauptgehäuse in der Mitte und den seitlichen Pedaltürmen. Es gibt nur wenige Kirchen, die eine so reiche Ausstattung aus der Mitte des 17. Jahrhunderts besitzen.
Die Orgel wurde 1651 in der Laurentius-Kirche »aufgebaut«. Am mittleren Gehäuse ist in den Ornamenten über den kleinen Prospektpfeifen die Jahreszahl 1650 eingeschnitzt, wodurch die Vermutung besteht, dass das elegante mittlere Gehäuse mit den beiden Manualwerken nicht für die Kirche in Langwarden gebaut wurde, sondern für eine andere, wahrscheinlich kleinere Kirche. Es besteht in der Bauweise, in der Materialverwendung, in der handwerklichen Verarbeitung und in den Proportionen ein deutlicher Unterschied zwischen dem qualitativ herausragenden mittleren Manualgehäuse und den einfacher gestalteten Pedaltürmen. Die Windladen und das Pfeifenwerk weisen dagegen die gleichen Baumerkmale auf. Die beiden Verbindungsstücke zwischen den Pedaltürmen und dem mittleren Gehäuse wurden in späterer Zeit angebracht.
Leider sind im Kirchenarchiv keine näheren Angaben zu den Erbauern der Orgel vorhanden. Nach stilistischen Vergleichen kann angenommen werden, dass der westfälische Orgelbauer Hermann Kröger der Erbauer war. Er arbeitete vor 1651 im Oldenburger Land, das weitgehend vom 30-jährigen Krieg verschont blieb und bedeutenden Künstlern, wie dem berühmten Bildschnitzer Ludwig Münstermann, ein reiches Betätigungsfeld bot. Berendt Hus, der spätere Lehrmeister Arp Schnitgers, arbeitete als Meistergeselle eng mit Hermann Kröger zusammen und war wahrscheinlich in dieser Funktion auch in Langwarden tätig. Arp Schnitger baute 1705 bei Renovierungsarbeiten an der Orgel drei neue Mixturregister und einen Dulcian (für das Krumbhorn) ein, die aber nicht mehr erhalten sind.
Im 19. Jahrhundert wurde die Orgel regelmäßig gepflegt und blieb auf diese Weise ständig spielbar. Allerdings wurden die hohen Mixturen und die Zungenstimmen ersetzt. Die originalen Springladen, das wunderbar klingende alte Pfeifenwerk, die erhaltene Spielmechanik und die originalen Manual-Klaviaturen erregten bereits in der Entdeckungs- und Aufbruchphase in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts Aufmerksamkeit. So kam es 1934 zu einer ersten Restaurierung durch Alfred Führer in Wilhelmshaven, die sehr verdienstvoll war. Allerdings entsprachen die »rekonstruierten« Register (Mixturen und Zungenstimmen) nicht der ursprünglichen Bauweise. 1975 erfolgte auf Anregung des Verfassers die Einrichtung einer mitteltönigen (terzenreinen) Stimmung nach den weitgehend erhaltenen alten Pfeifenlängen. In den folgenden Jahren folgte die schonende Renovierung der technischen Teile der Orgel durch Fritz Schild (Führer Orgelbau). Der vorletzte Bauabschnitt der Orgelrestaurierung in Langwarden konnte 2015 abgeschlossen werden: Hendrik Ahrend ergänzte die fehlenden Mixturen und Zungenstimmen nach den alten Mensuren, die von dem Organologen Koos van de Linde bereitgestellt wurden, in der Bauweise aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Vorbilder für Posaune, Trompete und Cornet stammen aus der Hus-Orgel in Noordwolde (Prov. Groningen) und für das Krumbhorn aus der Wilde/Schnitger-Orgel in Lüdingworth. Diese Rekonstruktionen, die das ganze Klangspektrum der Springladen-Orgel wieder hörbar gemacht haben, wurden ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung der Bremer Landesbank. Es fehlt noch die Freilegung der alten Farbfassung. Die jetzige Bemalung der Orgel stammt teilweise aus dem 20. Jahrhundert und weist Fehlstellen durch Freilegungen auf.
Die Orgel in der Laurentius-Kirche in Langwarden gehört zu den bedeutendsten Klangdokumenten Norddeutschlands. Sie ist das einzige weitgehend unverändert erhaltene Werk aus jener Werkstatt, in die Arp Schnitger später als Lehrling eintrat. Sie repräsentiert einen wesentlichen Ausgangspunkt des Schnitgerstils und ermöglicht, wichtige Entwicklungslinien der norddeutschen Orgelbaukunst des 17. Jahrhunderts zu verfolgen.
Das zweimanualige Werk zeigt in der Mitte das Gehäuse für das Hauptwerk (»Manual«) mit dem Praestanten 4’ im Prospekt und das darunterliegende Brustpositiv, das im ganz verschlossenen Zustand oder auch halb geöffnet gespielt werden kann. Dadurch kann die Klangstärke reguliert werden. Das von den Füßen gespielt Pedalwerk steht rechts und links in den Pedaltürmen; die sichtbaren Prospektpfeifen sind hier doppelt so groß wie im Manualwerk. Unter dem Brustpositiv befindet sich der Spieltisch mit den originalen Manualklaviaturen. Auch die gesamte Traktur für die beiden Manualwerke – also die mechanische Verbindung von den Tasten zu den Spielventilen in den Windladen – ist noch im Zustand aus der Erbauungszeit erhalten. Nur die Pedalklaviatur musste bei der letzten Restaurierung durch Hendrik Ahrend nachgebaut werden.
Von großer Seltenheit sind die original erhaltenen Springladen. Es handelt sich hier um eine hochentwickelte Technologie aus der Frühzeit des Orgelbaus, die zu den genialen Innovationen der Orgelbauer gehört. Die Springlade ist das kastenförmige Verteilungssystem der komprimierten Luft von den Bälgen zu den Pfeifen, wo zu jedem Ton und zu jedem Register ein kleines Ventil gehört. Die Springladen garantieren eine gleichmäßige Luftzufuhr zu den Pfeifen, unabhängig von klimatischen Schwankungen. So hat der französische Orgelbauer Marc Garnier seit mehr als 40 Jahren neue Orgeln in aller Welt nach dem technischen System der Springladen in Langwarden gebaut. Es handelt sich hier um den Typus der einfachen Springlade.
Die klangliche Grundlage des Manualwerks bildet der Praestant, dessen Pfeifen sichtbar vorn im Prospekt stehen und noch den usprünglichen vokalen Charakter aufweisen. Dabei unterscheiden sich die Einzeltöne durch fein abgestufte Formantbildungen im Sinne von verschiedenen Vokalfärbungen. Die tiefste Stimme des Manualwerks ist ein Gedacktregister, das trotz der engen Mensuren (Maßverhältnisse) einen vollen Klang besitzt. Die milde Quintadena besitzt als weitere Grundstimme eine ausgezeichnete Klangvermischung mit den anderen Registern.
Die alten Hauptwerkregister klingen in den höheren Lagen stark, dabei aber durchsichtig und klar. Wenn man einen Vergleich zum zeitgenössischen Instrumentarium zieht, muss man diese Stimmen mit den »starken« Instrumenten vergleichen, die den »stillen« Instrumenten gegenüber stehen. Mit der Gruppe der stillen Instrumente können die originalen Register des Brustpositivs verglichen werden, die in ihrer Art zu den wertvollsten Orgelregistern in Norddeutschland gehören. Das Grundregister ist das aus Eichenholz gefertigte Gedackt; es folgt die offene Holzflöte (Blockflöte), die ebenfalls aus ausgesuchtem Eichenholz gefertigt ist und einer frühbarocken Flöte ähnlich klingt. Diese beiden Stimmen repräsentieren das Holzregisterpaar, das Arp Schnitger später in seinen Brustpositiven disponierte. Weiterhin befindet sich im Brustpositiv die Schweizerpfeife, die nur im Diskant (in der oberen Hälfte der Klaviatur) klingt und durch die enge Mensur der leicht trichterförmig gebauten Pfeifen einen hellen Klang besitzt. Bei der Schweizerpfeife in Langwarden handelt es sich um das einzige erhaltene Beispiel von diesem Klang- und Bautypus aus dem 17. Jahrhundert. Ebenfalls zur Klanggruppe der stillen Instrumente gehört die elegante Spitzflöte aus dem Hauptwerk. Im Laufe der Jahrhunderte sind die Klangkronen – die Mixtur und die Cimbel – und die Zungenstimmen verloren gegangen. Die Zungenstimmen gehören zu einer eigenen Gattung der Orgelregister, wo die Klangerzeugung nicht wie bei der Blockflöte durch ein enges Luftband geschieht, das die Luftsäule im Inneren eines Pfeifenkörpers zum Schwingen bringt, sondern durch kleine Metallblättchen, die durch den Winddruck in Schwingungen versetzt werden. Die Bauweise der Zungenstimmen ist komplizierter und aufwändiger als bei den anderen Registern, die in Principale und Flöten aufgeteilt werden. Zu den Principalregistern (mit einem zylindrischen Pfeifenkörper) gehören auch die Mixturen. Hier klingen auf jeder Taste mehrere hoch eingestimmte Pfeifen im Oktav- und Quintabstand. Durch die Rekonstruktion der in Langwarden nicht mehr original vorhandenen Mixturregister wird jetzt die klangliche Brillanz erreicht, die für die Orgelinstrumente der Barockzeit charakteristisch ist.