Harald Vogel spielt Georg Böhm auf der Bielfeldt-Orgel in Osterholz-Scharmbeck

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Beschreibung

Georg Böhm gehört mit Dieterich Buxtehude, Johann Adam Reincken, Vincent Lübeck und Nicolaus Bruhns zu den Orgelmeistern, die um 1700 die norddeutsche Orgelkunst zu einem letzten Höhepunkt führten. Gleichzeitig erreichte der norddeutsche Orgelbau mit Arp Schnitger und seiner Schule eine Vollkommenheit in klanglicher und konstruktiver Hinsicht, die auch in unserer Zeit als vorbildlich gilt.
Georg Böhm wurde am 2. September 1661 als Sohn des Organisten Balthasar Böhm in Hohenkirchen (West-Thüringen) geboren. Hohenkirchen liegt ganz in der Nähe von Ohrdruf, wo seit 1690 Johann Christoph Bach wirkte. Der verwaiste Johann Sebastian wurde hier 1695 im Hause seines Bruders aufgenommen und erhielt bei ihm seine musikalische Grundausbildung.
Der Zusammenhang zwischen der in Thüringen weit verbreiteten Musikerfamilie Bach und der Familie Böhm konnte bis heute nicht abschließend ermittelt werden. Balthasar Böhm war sicherlich der erste Lehrer seines Sohns, der den Beginn seiner höheren Schulbildung am Ohrdrufer Lyzeum erhielt. Nach dem frühen Tod des Vaters im Jahre 1675 trat der 14-jährige in die Lateinschule im nicht weit entfernten Goldbach ein. Ab 1678 besuchte Georg Böhm das angesehene Gymnasium in Gotha und befand sich dort unter dem Einfluss der musikalischen Persönlichkeiten der herzoglichen Residenz. Leider wissen wir nicht genau, wie und von wem der musikalische Werdegang des jungen Böhm in Gotha gefördert wurde. Die einzige belegte Nachricht vom weiteren Studiengang ist die Immatrikulation an der Universität Jena im Jahre 1684.
Georg Böhm war zu Beginn seiner Studien an der Universität Jena bereits 23 Jahre alt und hatte zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich seine Ausbildung als Organist und Cembalist abgeschlossen. Allerdings wissen wir bisher nicht, wo und bei welchen Lehrern er sich die soliden musikalischen Grundlagen erwarb, die wir in seinen Werken für Tasteninstrumente bewundern können. Die Pedaltechnik, die als Grundlage für die Solopassagen in den Praeludien in C-Dur und d-Moll dient, wurde von den norddeutschen Organisten entwickelt. Es liegt der Schluss nahe, dass Böhm in seiner Lehrzeit bei einem Organisten in einer hanseatischen Stadtkirche, vielleicht in Hamburg oder Lübeck, studiert hat.
Neben den norddeutschen Stilelementen zeigen die Orgelwerke von Böhm auch viele Merkmale der mitteldeutschen Tastenkunst, die vor allem bei Johann Pachelbel zu finden sind. Daneben überrascht der Einfluss des französischen Orgelstils, der im 17. Jahrhundert im protestantischen Teil Deutschlands wenig bekannt war. Es ist möglich, dass Böhm in seinen musikalischen Wanderjahren in Grenzregionen mit Frankreich kam (wie z. B. Baden oder Elsass), wo er die französische Orgelkunst studieren konnte. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass es eine Lücke in der Biografie Böhms gibt, bevor er im Jahre 1693 in Hamburg auftauchte und dort als freischaffender Musiker im Umfeld der Hamburger Oper arbeitete.
Von Hamburg aus bewarb sich Böhm im Jahre 1698 um die wichtige Organistenstelle an der Lüneburger Johanniskirche. Hier wirkte er hochangesehen bis zu seinem Tode 1733 und unterrichtete in den Jahren 1700 bis 1702 den jungen Johann Sebastian Bach im Rahmen einer traditionellen Organistenlehre. Bach hatte das Glück, bei einem Lehrer studieren zu können, der die verschiedenen Stile seiner Zeit kannte und in seinen Kompositionen ein multistilistisches Profil zeigt. Diese von Johann Mattheson als »vermischter Stil« bezeichnete Kompositionsweise konnte Bach bei Georg Böhm in Lüneburg lernen.
Die Entdeckung der Weimarer Orgel­tabulatur, die im Hause von Böhm angefertigte Abschriften des jungen Bach aus den Jahren zwischen 1700 und 1702 enthält, vermittelt uns die Kenntnis von einem großen Notenbestand mit Werken der norddeutschen Orgelmeister im Besitz von Georg Böhm.

Die Bielfeldt-Orgel
in der St. Willehadi-Kirche in Osterholz-Scharmbeck
Die von Erasmus Bielfeldt 1734 erbaute Orgel in der Scharmbecker St. Willehadi-Kirche ist das vollständigste und klanglich am besten erhaltene Werk mit zwei Manualen und Pedal aus der unmittelbaren Schnitger-Schule. Sie gehört damit zu den wichtigsten historischen Orgeln Norddeutschlands aus der Zeit Johann Sebastian Bachs.
Die ältesten Nachrichten über einen Orgelbau in der Kirche stammen aus dem Jahre 1678, als der Jurat Curt Otten und der Organist mit einem Pferdefuhrwerk nach Stade fuhren und eine von Arp Schnitger erbaute kleine Orgel nach Scharmbeck brachten. Dieses Instrument, das aber nicht erhalten blieb, gehörte zu den frühesten Werken Schnitgers.
1731 wurde ein Kontrakt mit Erasmus Bielfeldt aus Stade zum Bau einer zweimanualigen stattlichen Orgel in der St. Willehadi-Kirche geschlossen. Bielfeldt führte in der Nachfolge Schnitgers die Orgelwerkstatt in Stade weiter und baute gleichzeitig ein großes Orgelwerk in der Stader St. Wilhadi-Kirche. Er hatte zuvor bei dem in Lüneburg ansässigen Meister Matthias Dropa gearbeitet, der mit Arp Schnitger kooperierte. Dropa führte von 1712 bis 1714 den großen Umbau der Orgel in der Lüneburger St. Johanniskirche für Georg Böhm aus. An diesem Umbau, von dem noch heute große Teile erhalten sind, wirkte Erasmus Bielfeldt mit. Die Klangvorstellungen Böhms wurden bei diesem Orgelprojekt in Lüneburg, bei dem die großen Pedaltürme an das Renaissance-Gehäuse angebaut wurden, auch von Erasmus Bielfeldt umgesetzt.
Der Orgelbaustil Bielfeldts besteht aus einer Mischung der Bauweisen von Dropa und Schnitger.
Zu seinen Stilmerkmalen gehört der hohe Anteil von Blei im Pfeifenwerk und ein weicher singender Klang der Principale und Flötenregister. Der Gesamtklang (das »Plenum«) ist sehr farbig durch die Terzmixtur. Bemerkenswert sind die originalen Zungenstimmen Trompete und Dulcian in den Manualwerken sowie Posaun und Trompete im Pedal mit ihrem bläserischen Charakter.
Der Orgelbau von Erasmus Bielfeldt war 1734 abgeschlossen. Das Instrument stand in der alten Scharmbecker Kirche, wobei das Pedalwerk hinter dem Manualgehäuse aufgestellt war. Nach dem Kirchenneubau 1745 stellte Bielfeldt die Orgel auf der heute noch vorhandenen Orgelempore unmittelbar unter der Kirchendecke auf, wodurch eine gute Klang­abstrahlung in den Raum entstand. Einige Register wurden verändert und das Pedal fand in seitlichen Pedaltürmen Platz mit den Pfeifen vom neuen Principal 16′ im Prospekt.
In dieser Form blieb das Instrument bis heute mit nur wenigen Änderungen erhalten. Eine Hinzufügung ist das Gedackt 8′ aus dem Jahr 1870, das an die Stelle einer Vox humana trat, die der Nachfolger Bielfeldts in Stade, Dietrich Christoph Gloger, 1767 gebaut hatte. Drei Register im Inneren der Orgel und die Prospektpfeifen im Hauptwerk sind nicht mehr original vorhanden. Sie wurden in der alten Bauweise bei der Restaurierung 1972 und nach der Kirchenrenovierung 2004 hergestellt.
Die 1972 abgeschlossene Restaurierung der Orgel (Sachverständige: Harald Vogel und Franz Lengemann) war ein Wendepunkt in der Orgeldenkmalpflege, da hier erstmalig das Konzept einer konservierenden Restaurierung umgesetzt werden konnte und die erhaltenene technische Anlage sowie das Pfeifenwerk ohne Veränderungen im überlieferten Zustand beibehalten wurden. Wichtig war auch die erste Anwendung einer ungleichschwebenden Temperatur bei der Restaurierung einer Orgel der Schnitger-Schule. Schließlich gelang es 1974, den modernen Magazinbalg von 1931 durch den Einbau von drei alten Keilbälgen aus der Werkstatt Röver zu ersetzen. Die Restaurierung der Orgel wurde von zwei Generationen der Orgelbauerfamilie Hillebrand – den Brüdern Harry und Guntram (1972/74) sowie Martin (2004) – aus Altwarmbüchen b. Hannover vorbildlich ausgeführt.
Die Bielfeldt-Orgel in der Scharmbecker St. Willehadi-Kirche ist eines der wichtigsten Klangdokumente aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und entspricht dem Orgelstil, der beim Umbau der Orgel Georg Böhms in Lüneburg maßgebend war.
Harald Vogel